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Warum du dein Beziehungsverhalten nicht mit Willenskraft ändern kannst - und was dir hilft

  • hallo81069
  • 10. Aug.
  • 6 Min. Lesezeit


Gastbeitrag von Tanja Hummel


Tanja Hummel




Warum wir bei Beziehungsfragen ein neues Verhältnis von Trauma brauchen

Viele von uns kennen es: Wir wollen unser Verhalten in der Beziehung endlich verändern – und scheitern immer wieder an den gleichen Punkten. Trotz bester Vorsätze, tiefer Erkenntnisse und einer starken inneren Absicht. Warum das nichts mit Schwäche oder mangelndem Bewusstsein zu tun hat, sondern mit Trauma, dem Nervensystem und unbewussten Schutzmechanismen – darum geht es in diesem Artikel. Warum wir bei Beziehungsfragen ein neues Verständnis von Trauma brauchen. In den letzten Jahren habe ich unter anderem durch die Arbeit von Dr. Gabor Maté (www.drgabormate.com/about/) verstanden, dass tiefsitzende Verhaltensmuster – vor allem in Beziehungen – nicht einfach durch Willenskraft überwunden werden können. Dr. Maté sagt über Sucht: „Die Frage ist nicht: Warum die Sucht? Sondern: "Warum der Schmerz?“ Und genau das lässt sich auch auf unsere Beziehungsdynamiken übertragen. Wenn Menschen süchtig werden, dann nicht, weil sie ein disziplinloses Wesen haben, sondern weil sie über die Sucht versuchen, sich mit sich selbst in Verbindung zu bringen – etwas zu spüren, was sie in ihrer Kindheit nie erfahren haben: sichere Nähe, Verbindung, Geborgenheit. Diese Logik lässt sich 1:1 auf Beziehungsmuster anwenden. Wer klammert, emotional eskaliert oder sich immer wieder emotional unverbundenen Partner:innen zuwendet, tut das nicht aus freiem Willen. Sondern aus einem Schutzprogramm heraus, das aus Schmerz geboren wurde. Vor ein paar Wochen habe ich bei einer amerikanischen Kollegin einen spannenden Text über den Zusammenhang von Wille und Beziehung gelesen. Und siehe da – auch in Deutschland gibt es Stimmen im Coaching Markt, die behaupten, man könne ungesunde Beziehungsmuster mit genug Willenskraft verändern. Ich halte das für Humbug. Denn die Realität sieht anders aus: ➰ Wir sagen uns: „Beim nächsten Mal bleibe ich ruhig.“

➰ Oder: „Ich werde nicht mehr klammern.“

➰ Oder: „Ich ziehe endlich meine Grenze.“

Und trotzdem passiert es immer wieder! Wir verhalten uns genau gegenteilig.

Trotz aller Erkenntnis. Trotz aller Vorsätze. Trotz dem klaren Willen zur Veränderung.

 Warum scheitern wir so oft an genau dem Punkt, an dem es am meisten wehtut?

Ja, warum nur? Trauma ist schneller als dein Wille


Die Antwort liegt nicht in deiner Persönlichkeit, nicht in einem Mangel an Disziplin, Intelligenz oder Bewusstsein. Sie liegt tiefer: in deinem Nervensystem. In deinem unbewussten Schutzprogramm. In deinen traumatischen Prägungen. Viele Menschen – vor allem Frauen, die sich intensiv mit Persönlichkeitsentwicklung beschäftigen – glauben, dass sie durch genug Willenskraft alles verändern können. Gerade in Liebesbeziehungen. Doch genau dort scheitert der Wille immer wieder. Warum? Weil Beziehung kein rein geistiger Raum ist, sondern auch ein emotionaler. Beziehung aktiviert dein altes Bindungssystem. Und dieses ist tief im Nervensystem verwurzelt – nicht im rationalen Verstand. Es wurde in deiner frühesten Kindheit geprägt, lange bevor du sprechen konntest. Es basiert nicht auf dem, was du denkst. Sondern auf das, was du gefühlt hast – oder eben nie fühlen durftest. Wenn du als Kind erfahren hast, dass emotionale Nähe mit Unsicherheit verbunden war – vielleicht war deine Mutter oder dein Vater unzuverlässig, übergriffig, distanziert oder manipulativ – dann wird dein Körper bis heute Nähe mit Gefahr verknüpfen. Obwohl dein erwachsener Teil sich nach Verbundenheit sehnt, erlebt dein System sie als Bedrohung. Das kann sich so äußern: ●      Du wirst unruhig, sobald dir jemand zu nahe kommt

●      Du ziehst dich zurück, sobald es ernst wird

●      Du klammerst, wenn dein Gegenüber sich entfernt

●      Du wirst überkontrollierend, weil du innerlich Panik bekommst

●      Du sabotierst gesunde Beziehungen, ohne es zu wollen Das alles passiert nicht, weil du „zu schwierig“ bist. Sondern weil dein Körper dich beschützen will. Das nennt man Trauma-Response. Und die ist stärker als dein Wille. Der Körper hat das Sagen – nicht dein Verstand. Das Entscheidende: Diese Schutzprogramme laufen schneller ab als dein Denken. Sie entziehen sich deiner bewussten Kontrolle. Der Wille, dich anders zu verhalten, ist wie ein Tropfen auf einem heißen Stein, wenn dein Nervensystem Alarm schlägt. Trauma sitzt nicht im Kopf – es sitzt im Körper. Stell dir dein System wie ein Auto vor: Dein Verstand ist das Gaspedal – er will losfahren. Dein Trauma ist die Handbremse – sie ist angezogen.
Ergebnis: Du kommst nicht voran. Oder du verbrauchst so viel Energie, dass du ausbrennst.

Was steckt hinter deinen Mustern? Wenn du in deiner Kindheit keine sichere Bindung erlebt hast – also nicht regelmäßig emotional gesehen, beruhigt und verstanden wurdest – dann entwickelt dein Nervensystem sogenannte Überlebensstrategien. Diese sind:

-> Anpassung („Ich bin nur lieb, wenn ich funktioniere.“)

-> Rückzug („Ich verlasse lieber, bevor ich verlassen werde.“)

-> Kontrolle („Wenn ich alles im Griff habe, bin ich sicher.“)

-> Abspaltung („Ich darf nichts fühlen, sonst werde ich verletzt.“) Diese Muster zeigen sich später in deinen Beziehungen. Besonders in intimen Partnerschaften, wo Verletzlichkeit gefragt ist, wirst du merken: Du reagierst nicht aus dem Jetzt. Sondern aus einem früheren Zustand – oft aus dem Schmerz deines inneren Kindes. Typische Traumareaktionen in Beziehungen:

●      Du wirst panisch, wenn dein Partner nicht zurückschreibt

●      Du frierst emotional ein, wenn dein Gegenüber dir zu nah kommt

●      Du beginnst zu klammern oder dich emotional abhängig zu machen

●      Du verlierst dich in Co-Abhängigkeit

●      Du „funktionierst“, anstatt dich echt zu zeigen

●      Du streitest, obwohl du eigentlich Verbindung willst All das geschieht unbewusst. Und es lässt sich nicht „wegdenken“. Hier helfen keine To-do-Listen, Affirmationen oder „sich zusammenreißen“. Denn du reagierst biologisch – nicht logisch. Was hilft stattdessen? 4 Wege zur echten Veränderung


 1. Somatische Arbeit: Heilung über den Körper


Wenn Trauma im Körper sitzt, muss auch Heilung durch den Körper erfolgen. Somatische Methoden wie Atemarbeit, Nervensystemregulation, körperorientierte Psychotherapie oder Traumatherapie helfen dir, wieder in Verbindung mit dir selbst zu kommen.


Du lernst:

●      deine Körpersignale zu spüren

●      Stressreaktionen zu regulieren

●      neue, sichere Beziehungserfahrungen zu machen


Denn: Sicherheit ist die Voraussetzung für Nähe. Und Sicherheit entsteht nicht im Kopf, sondern im Nervensystem.


2. Arbeit mit dem inneren Kind

Viele deiner heutigen Reaktionen stammen nicht von deinem erwachsenen Ich. Sie kommen von einem jüngeren Anteil – dem inneren Kind –, der damals überfordert, verletzt oder verlassen war.

Wenn du heute in Panik gerätst, weil dein Partner distanziert ist, meldet sich vielleicht das Kind in dir, das einst stundenlang auf die Rückkehr der Mutter gewartet hat. Die Lösung liegt nicht darin, den Partner zu verändern. Sondern diesem inneren Kind heute zu geben, was es damals gebraucht hätte: Nähe, Beruhigung, Halt.


3. Trigger als Wegweiser verstehen

Trigger sind nicht das Problem – sie zeigen dir das Problem. Wenn du lernst, Trigger bewusst zu beobachten, anstatt dich dafür zu verurteilen, wirst du dein inneres System verstehen. Trigger führen dich direkt zu deinen wunden Punkten. Und genau dort liegt das größte Heilungspotential.

Anstatt: „Was stimmt nicht mit mir?“
frage dich lieber: „Was will hier gesehen und gehalten werden?“


4. Heilsame Beziehungen erleben

Was in Beziehung verletzt wurde, kann nur in Beziehung heilen. Vielleicht hast du gelernt: „Ich muss alles allein schaffen.“ Doch Nervensysteme regulieren sich in Resonanz. Du brauchst sichere Beziehungserfahrungen – sei es mit einem Partner, in therapeutischer Begleitung, in Frauenkreisen oder spirituellen Gemeinschaften.

Das bedeutet: Du darfst lernen, dich in Beziehung neu zu erfahren – ohne Drama, ohne Rollenspiel, ohne Selbstverlust.



Veränderung beginnt nicht mit Disziplin - sondern mit Mitgefühl


Solange du glaubst, du müsstest dich nur "mehr zusammenreißen", bleibst du im Kreislauf von Versagen, Scham und Rückzug gefangen. Aber Veränderung beginnt nicht mit Disziplin – sondern mit Mitgefühl. Du brauchst:

●      weniger Kontrolle – und mehr Sicherheit

●      weniger Selbstverurteilung – und mehr Verständnis

●      weniger Perfektion – und mehr Raum für Fehler

●      weniger Selbstoptimierung – und mehr liebevolle Innenschau Aus Kampf wird Mitgefühl – aus Angst Verbindung. Wenn du begreifst, dass dein Verhalten kein Beweis für dein „Versagen“ ist, sondern ein intelligenter Schutzmechanismus deines Körpers – dann kannst du aufhören, gegen dich zu kämpfen. Dann beginnt Heilung. Und in diesem Moment wird aus deinem alten Schutzprogramm eine neue Liebesfähigkeit. Denn echte Beziehung entsteht erst dann, wenn du dich selbst hältst – auch in den Momenten, in denen dein Nervensystem Alarm schlägt. Lass uns nicht mehr von Menschen verlangen, sich "zusammenzureißen", wenn ihr System in Not ist.

Lass uns stattdessen Räume schaffen, in denen sich ihr System endlich sicher fühlen darf.

Dann wird Veränderung möglich. Nicht aus Zwang. Sondern aus einem tiefen inneren JA. Wenn du mehr über somatische Traumaheilung, Beziehungsdynamiken und sichere Bindung erfahren willst, abonniere gerne meinen Sunday Love Letter: https://view.flodesk.com/pages/6343c84812fa5e426dd84114


oder meinen YouTube-Kanal: www.youtube.com/c/tanja_hummel




Tanja Hummel ist Diplom-Psychologin, Familientherapeutin und Beziehungscoach



Tanja Hummel

Seit über 20 Jahren begleitet sie Menschen in diesem Bereich. Ihr Schwerpunkt liegt darauf, Frauen nach einer toxischen Beziehung dabei zu helfen, echte Nähe und Liebe zuzulassen und sich für eine gesunde, stabile Paarbeziehung zu öffnen.

 

Tanja lebt seit zwölf Jahren mit ihrem indonesischen Mann auf Bali.


Mehr zu Tanja:


E-Mail-Adresse: info@tanjahummel.com



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